Deniz Ohde Deniz Ohde

Dem Geheimnis verpflichtet

Dem Geheimnis verpflichtet. Rede zur Verleihung des Georg-Christopg-Lichtenberg-Preises 2024

Auszug aus der Rede zur Verleihung des Georg-Christoph-Lichtenberg-Preises 2024

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Das geheime Schreiben ist mein Urzustand. Es war zuerst der vorsprachliche Eindruck, meinem Leben als zweite wahrnehmende, manchmal kommentierende Instanz beizuwohnen. Später manifestierte es sich in den ersten Diddl-Tagebüchern, noch später notierte ich im damals so genannten Web 2.0 in einem Blog die Beobachtungen meiner langen Bahnfahrten, der Gänge durch Stadtzentrum und Industrierand und auch die Dramen der mittleren Teenagerjahre, Absätze aus je ca. 200 Wörtern, in einem Rutsch heruntergeschrieben, überarbeitet und sofort veröffentlicht. Neben dem nur halbgeheimen, weil zwar anonym geführten, aber öffentlich einsehbaren und vom Literaturarchiv in Marbach archivierten Blog, gab es noch einen mit Passwortschutz. Mein Ausbildungsort war das weiße Fenster eines 19 Zoll Medion-Bildschirms. Dabei war auch dies eine Art Sudelbuch. Eine Sammlung an Eindrücken und Geistesblitzen, Gesprächsfetzen und Songzitaten. Eine Übung im Beobachten, eine Eichung auf meine Wahrnehmung und ihre Artikulation – die Masse, die ich zu Fiktion formen konnte oder die meine Fantasie inspirierte. Es waren Vorformulierungen dessen, was noch kommen sollte, ein Steinbruch, an dem ich die Bildhauerei lernte, ohne mir der Tragweite dieses Lernens bewusst zu sein, und die ersten Figuren waren noch etwas unförmig, die Proportionen irgendwie falsch, krumm und schief standen sie im blauen Licht des Plasmabildschirms, aber wenigstens lagen Herz und Kopf nah beieinander.

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Die vollständige Rede ist bei hr2 zu hören.

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